Sonntag, 2. Oktober 2016

Das Trimester-Zeugnis

Gestern haben wir das Trimester-Zeugnis unserer Tochter erhalten. Gespannt fuhr ich zum Gespräch mit der Betreuerin und stellte mich in die Schlange vor dem Schulzimmer. Was langweilig klingt, war kurzweilig und lustig. Ich lernte ein paar Eltern kennen die ich bis jetzt noch nie getroffen habe und konnte, nebst den Telefonnummern, Mama/ Papa- Tricks austauschen. Im Hintergrund rannten die Kinder wie wild umher und spielten miteinander - innerlich freute ich mich bereits auf Matildas langen, tiefen Mittagsschlaf. 

Als wir an der Reihe waren, erwartete uns Tia Aracely, wie immer herzlich, strahlend und bestens gelaunt. Sie erklärte mir das Bewertungssystem und die Evaluation von Matilda, es ist bereits das dritte Zeugnis das sie erhält und wieder bin ich beeindruckt von Fülle des Lehrplans und der Reichhaltigkeit der Beurteilung der Kinder.
Ich muss zugeben, als ich den Stundenplan das erste Mal gesehen habe, musste ich ein bisschen schmunzeln. Auf dem Plan unserer damals zweijährigen Tochter standen Fächer wie Naturwissenschaften, Mathematik oder Menschenrechte. Gerne hätte ich diese gegen Singen, Tanzen und Puppenspielen eingetauscht… erst mit der Zeit stellte ich fest, dass sie genau das machen. Der Stundenplan klang für mich nach übertriebener Frühförderung, da uns die Schule und die Lehrpersonen jedoch sehr sympathisch waren, meldeten wir Matilda trotzdem an. Wir haben es bis heute nie bereut. Für mich dürfte man die Fächer umbenennen und auch der Tagesablauf könnte weniger strukturiert sein, doch hier läuft das halt einfach so. Matilda geht nach wie vor sehr gerne in die Kita und ich schätze das regelmässige Feedback zu den Entwicklungsschritten unserer Tochter sehr.
So durfte ich mir gestern erzählen lassen, was Matilda alles erarbeitet hat:
Sie lernte unter anderem die Bräuche vom Departement La Paz  kennen (die von Cochabamba waren im Letzen Trimester dran), erkennt und schreibt mit dem Finger die Vokale a-e-i-o-u in den Sand, marschiert ohne den Rhythmus zu verlieren, selektiert Perlen mit einer Pinzette und verwendet die Serviette nach dem Essen angemessen und noch vieles mehr. Am meisten beeindruckte mich der Punkt reflektiert über die Bedeutung und Wichtigkeit der Grosseltern.
Vieles ist hier anderes, Dinge werden unterschiedlich bewertet. Einiges finde ich wunderbar, wie der Letzte Punkt der Beurteilung. Die Bedeutung der Familie, der Respekt vor Älteren oder auch die Wichtigkeit des Compañerismo - Freundschaft, der Umgang mit anderen Menschen, das Teilen mit Anderen. Doch wie bei wohl allem gibt es auch Sachen, die uns fremd sind und wir auch mal Leute vor den Kopf stossen. Beispielsweise lassen wir unsere Tochter mit Erde spielen - wir fordern sie sogar dazu auf mit den Händen ein Loch zu buddeln, Wasser rein zu schütten und sich schmutzig zu machen. Dafür ernten wir regelmässig ein Kopfschütteln. Auch ihre Frisuren stossen auf Entsetzen. Ihre wild- strubbelige Lockenpracht bändige ich nicht immer mit den hier üblichen straff geflochtenen Zöpfchen. Als Ausländer ernten wir dafür verwunderte Blicke, seit ich aber beruflich mehr Kontakt zu Kindern und Familien habe, weiss ich, dass eine Bolivianerin für diese Frisierkunst kritisiert würde. Seither gebe ich ein bisschen mehr Acht auf die Frisur-Technik, - zumindest bei formellen Anlässen.

So oder so verliess ich gestern rot vor Stolz das Klassenzimmer und möchte mich nun mit Matilda über die Bräuche in La Paz unterhalten!